Früher oder später muss jeder an eine Beerdigung. Später häufiger. Und es sind nicht die angenehmsten Fragen, die dann auftauchen. Wann bin ich dran? Wie werde ich einmal sterben? Und ist da nicht noch etwas? Das ‚Leichenmahl‘ lässt dann meist vergessen, was man noch wissen wollte.
Der Film ‚Die weisse Arche‘ stellt sich diesen Fragen. Sie werden durch die Darstellung auf der Leinwand nicht leichter, und die Umstände, wie Menschen alt werden, ihre Sinne verlieren, dahinsterben, nicht tröstlicher. Abgründe der Seelen tun sich auf, doch einiges verliert seinen Schrecken. Wer Fragen zulässt, erfährt Antworten, die vielfältiger sind, Horizonte, die sich weiten, Geschichten, die uns an die Hand gehen.
Die Grundmelodie des ganzen Films spielt eine Frau, der kaum etwas grösseren Schrecken einflösste als Sterben und Tod. Bis sie eines Tages auf einer Skitour in eine Lawine geriet und eine Viertelstunde lang dem Tod sehr nahe war, innerlich von ihrem Mann, ihrer Familie und ihrem Leben Abschied nahm und am Ende nur mehr ungern von Rettungsleuten ins Leben zurückgerufen werden wollte. Etwas kam nicht zurück: ihre Angst vor Sterben und Tod. Heute pflegt Monika Dreier als Pflegefachfrau Menschen im Wartsaal zum Tod, Hinfällige, Einsame, Demente. Sie tut es mit grosser Hingabe und kann mit ihrer Erfahrung den Alten ohne jeden billigen Trost Mut machen und Nähe schenken.
Todeserfahrungen konfrontieren mit Einsichten und Begegnungen, die seit je Engel geheissen werden. Sie haben ihre erschreckenden und ihre würdevollen Seiten. Naheliegend auch für den Benediktinermönch und Maler Eugen Bollin, dessen leidenschaftliche Expressivität sonderbar kontrastiert mit der klaren Architektur des Klostergebäudes, dem Engel den Namen gaben. Über Jahrhunderte schon strahlt es in der archaischen Bergwelt rund um den Engelberger Hahnen Ruhe und Ordnung aus. Doch im Kloster stirbt man nicht einfacher. Den Übergang schaffen urtümliche Rituale und die Schönheit der Natur oft besser als jede Theologie.
Nicht fehlen darf der exotische und doch bodenständige Heiler. Ein Engelberger Mönch half Sam Hess, mit seiner Hellsichtigkeit zu Rande zu kommen. Nun geht der gelernte Förster an Orte, wo nicht alles mit rechten Dingen zugeht und ‚Wiederkehrer‘ den Zurückgebliebenen das Leben schwer machen. Er räuchert die abenteuerlichsten Wohnungen aus und entlässt so die Geistwesen, die als Schatten menschlicher Existenzen dämonische Kräfte entfalten, aus ihrer Behausung.
Ein Gottsucher der besonderen Art ist Alphons Bachmann, dem es bei den Karthäusern in der Valsainte zu eng wurde. Nun verbindet der Aussteiger als Einsiedler auf einer Alp im Greyerzerland seine philosophischen und spirituellen Fragen mit dem harten Alltag eines einfachen Hirten. Weil Geld nicht essbar sei, bearbeite er lieber den Wiesengrund als den Devisen-Grund. Die Erde sei für ihn der Tisch des Lebens. Und „in meinem Himmel hat es einfach mitmenschlich handelnde und fühlende Wesen“.
Die leutseligen Kapuziner haben eine Pflegestation in ihrem Kloster unter den Mythen in Schwyz. Dort begleitet der Film das Sterben des einundachtzigjährigen Pater Fromund, der Jahrzehnte lang im Rigi-Klösterli als Seelsorger wirkte. Die Bilder zeigen, wie die Geborgenheit in der Klosterfamilie tröstet, und wie gleichzeitig Worte der Religion oft hilflos wirken.
Inspiriert von Niklaus Meienberg Erzählung «O du weisse Arche am Rand des Gebirges» (in: Weh unser guter Kaspar ist tot. Plädoyers u. dgl., Zürich 1991, Limmat Verlag, Seite 62 bis 78) und musikalisch kunstvoll begleitet von Oswald Schwander verdichtet der Film dokumentarische Geschichten mit eindrücklichen Naturbildern. Es sind Bilder des Verdrängten, des halb oder ganz Unbewussten, die der rationale Mensch entsorgen muss, weil keine Antwort rational zufrieden stellt. So wird der Film ein Kontrastprogramm zu den Nachrichtenbildern und zum Zeitvertreib, die den Raum der Öffentlichkeit besetzen. Und wer sich auf eine andere Wirklichkeit einlässt, zählt nicht immer zu den einfachsten Zeitgenossen. Doch es sind Menschen, die Wege zum Spirituellen, Geistigen und Transzendenten offen halten. Auch diese Dimensionen gehören zu unserer Geschichte und Identität.